Herbstgutachten der Wirtschaftsforschungsinstitute: Deutschland in der Rezession
Die führenden Wirtschaftsforschungsinstitute haben ihr Herbstgutachten mit dem Titel „Energiekrise: Inflation, Rezession, Wohlstandsverlust“ vorgelegt. Demnach belastet insbesondere die Zuspitzung auf den Gasmärkten die deutsche Wirtschaft weitaus stärker, als noch im Frühjahr erwartet.
Die Institute halbieren ihre Prognose für das Wirtschaftswachstum in diesem Jahr auf real +1,4 %, wobei das Wirtschaftswachstum bereits ab dem dritten Quartal rückläufig ist. Im kommenden Jahr ist dann ein Rückgang des Bruttoinlandsprodukts (BIP) in Höhe von -0,4 % zu erwarten. Dabei spiegeln sich die immens gestiegenen Energiekosten, die infolge des Kaufkraftentzugs nachlassende Konsumnachfrage sowie die schwächelnde Weltwirtschaft wider. Die Institute unterstellen in ihrer Prognose, dass im kommenden Winter keine Gasmangellage auftritt, die Versorgungslage aber äußerst angespannt bleibt.
Die Binnennachfrage dürfte sich bis Ende 2023 deutlich abschwächen. Zwar hatte sich der private Konsum in der ersten Jahreshälfte auch aufgrund von Nachholeffekten nach der Corona-Pandemie positiv entwickelt, inzwischen haben sich die Konsumaussichten aufgrund der hohen Preissteigerungen aber stark eingetrübt. Unter dem Strich wird der private Konsum 2022 zwar noch um 4,0 % steigen, 2023 aber um -1,6 % zurückgehen. Die Investitionen in Ausrüstungen nehmen moderat zu (2023: +1,2 %, 2023: +2,7 %). Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, dass der deutliche Einbruch im Zuge der Corona-Krise noch nicht kompensiert ist. Ein Teil des Zuwachses geht auf das Konto der öffentlichen Ausrüstungsinvestitionen, in denen sich der Anstieg der Verteidigungsausgaben widerspiegelt.
Der Außenhandel entwickelt sich schwach: Die Exporte steigen 2022 und 2023 um jeweils real +1,5 %. Die Importe stiegen auch wegen der hohen Energiekosten 2022 recht dynamisch (+5,2 %), das Wachstum schwächt sich 2023 auf +1,2 % ab.
Die hohen Energiekosten, die etwa bei den Wohnnebenkosten erst sukzessive beim Verbraucher ankommen, sorgen für weiterhin hohe Preiszuwächse: Die Inflation dürfte 2022 bei 8,4% liegen. Für das Jahr 2023 ist ein weiterer Anstieg der Teuerungsrate auf 8,8 % zu erwarten. Die Tarifverdienste, die 2022 um 2,5 % zulegen dürften, werden angesichts der deutlich verschlechterten Gewinnsituation vieler Unternehmen auch im Jahr 2023 mit 4,7 % hinter dem Verbraucherpreisanstieg zurückbleiben.
Die Auswirkungen der Krise auf den Arbeitsmarkt bleiben begrenzt. Zwar dürfte sich der Beschäftigungsaufbau deutlich verringern. Die Zahl der Arbeitslosen verändert sich aber nur leicht (2022: 2,41 Mio., 2023: 2,56 Mio.; 2,21: 2,61 Mio.). Hier zeigt sich der bereits bestehende Personalmangel in vielen Unternehmen, der dazu führt, dass trotz Produktionsrückgängen vielfach keine Entlassungen vorgenommen werden.
Für 2024 erwartet die Gemeinschaftsdiagnose eine Rückkehr der deutschen Wirtschaft auf den Wachstumspfad. Das Bruttoinlandsprodukt dürfte, ausgehend vom niedrigen Niveau, um real +1,9 % zulegen (darunter privater Konsum +2,0 %, Ausrüstungsinvestitionen +5,7 %, Export +3,7 %, Import +4,2 %). Der Verbraucherpreisanstieg wird sich, ausgehend von deutlich rückläufigen Energiepreisen, voraussichtlich auf +2,2 % normalisieren.
In Bezug auf die Baukonjunktur gehen die Institute unter dem Titel „Bauinvestitionen gehen bei fortgesetztem Preiswachstum zurück“ von einer deutlichen Abschwächung aus:
„Die Bauinvestitionen wurden zu Beginn des Jahres mit 3,1 % kräftig ausgeweitet, nicht zuletzt aufgrund des milden Winters. Gegenüber dem witterungsbedingt erhöhten Niveau gingen sie im Folgequartal deutlich zurück (–3,4 %). Insgesamt verbuchte die Baubranche im ersten Halbjahr einen realen Umsatzrückgang von 2,7 %.
Die Bauinvestitionen expandieren schon seit Längerem nicht mehr, zuletzt waren sie kaum höher als im Schlussquartal 2018. Der Immobilienboom hat sich bei ausgeschöpften Kapazitäten vor allem in den Baupreisen niedergeschlagen. So lag der Deflator für die Bauinvestitionen zuletzt um 18,9 % über seinem Vorjahreswert und 7 % über dem des Vorquartals, was der höchste Quartalsanstieg seit der Wiedervereinigung ist. Maßgeblich sind fehlende Fachkräfte und Anspannungen bei der Materialbeschaffung, derzeit kommen die gestiegenen Energiepreise in Folge des Ukraine-Krieges hinzu. Im Juli und im August lag der ifo-Indikator für Baubeeinträchtigungen trotz leicht abnehmender Materialengpässe weiter auf einem historisch hohen Niveau, und der Fachkräftemangel dürfte sich auch im weiteren Prognoseverlauf nicht signifikant entspannen. Die hohen Preise veranlassen gegenwärtig viele Auftraggeber sowohl im Wohn- wie auch im Nichtwohnbau zu Stornierungen. Für die zweite Jahreshälfte gehen die Institute davon aus, dass die Bauinvestitionen zurückgehen werden. Die schwachen Geschäftserwartungen und rückläufige Baugenehmigungen deuten darauf hin. Im Zuge sinkender Auftragseingänge und vieler Auftragsstornierungen dürfte der Auftragsüberhang, der sich während der konjunkturellen Erholung nach der Corona-Krise aufgebaut hatte, rasch aufgebraucht sein.
Die Produktionszahlen im Ausbaugewerbe vom Juli deuten darauf hin, dass der Rückgang im Wohnungsbau vorerst etwas weniger stark sein dürfte als im Nichtwohnungsbau. Außerdem dürfte es bedingt durch die Energiekrise eine höhere Nachfrage nach energetischen Sanierungen im Ausbaugewerbe geben. Allerdings signalisieren deutlich abwärts gerichtete Auftragseingänge, hohe Stornierungsraten und historisch pessimistische Geschäftserwartungen der Wohnbauunternehmen, dass auch die Investitionen in Wohnungsbauten in der zweiten Jahreshälfte zurückgehen dürften. Für den weiteren Prognosezeitraum ist zu erwarten, dass die Materialknappheiten deutlich abnehmen. Allerdings ist davon auszugehen, dass die gestiegenen Bauzinsen dämpfend wirken. Die über alle Laufzeiten gemittelten Effektivzinsen haben sich im Juli im Vergleich zum Vorjahresmonat mit 2,8 % bereits mehr als verdoppelt. Sinkende Realeinkommen dürften die Finanzierung von Wohnungsbauvorhaben zusätzlich erschweren. Insgesamt rechnen die Institute mit einem Rückgang um 1,8 % im laufenden und 1,7 % im kommenden Jahr.
Im Jahr 2024 dürften die Wohnungsbauinvestitionen im Zuge der konjunkturellen Erholung um 1,9 % expandieren.
Auch die Dynamik der gewerblichen Bauinvestitionen dürfte sich im zweiten Halbjahr 2022 weiter abschwächen. Infolge der konjunkturellen Abkühlung im Verarbeitenden Gewerbe dürften die Unternehmen auch ihre Bautätigkeit einschränken. Alles in allem werden die gewerblichen Bauinvestitionen in diesem Jahr wohl um 4,2 % abnehmen. Für das Jahr 2023 ist mit einem weiteren Rückgang um 1,9 % und für das Jahr 2024 mit einem Anstieg um 2,7 % zu rechnen.
Während Preissteigerungen, Personal- und Materialknappheiten die öffentlichen Bauinvestitionen in den kommenden beiden Quartalen weiter zurückgehen lassen, deuten die Budgetplanungen der öffentlichen Haushalte im weiteren Prognosezeitraum auf starke nominale Zuwächse hin. Beispielsweise ergeben sich aus dem bereits im Jahr 2020 angelegten Konjunktur- und Zukunftspaket Investitionen in den Breitbandausbau, den Bau von Kindertagesstätten sowie in die Förderung des Klimaschutzes. Die hohen nominalen Mittel dürften sich im Jahr 2023 in weiter hohen Preissteigerungen niederschlagen. In diesem Jahr dürften die öffentlichen Bauinvestitionen um 0,2 % zunehmen und im kommenden Jahr werden sie, bedingt durch einen geringen statistischen Überhang, voraussichtlich um 3,4 % abnehmen. Für das Jahr 2024 rechnen die Institute mit einer Ausweitung von 3,5 %.
Der hohe Preisauftrieb bei den Bauinvestitionen dürfte sich ab dem dritten Quartal deutlich abschwächen. So nahmen schon im Juli die Preise wichtiger Baumaterialien wie Stahl, Bitumen und Dieselkraftstoff im Vergleich zum Vormonat ab, und auch die Preise für die Herstellung energieintensiver Materialien wie Ziegel und Zement stiegen verlangsamt. Alles in allem dürften die Baupreise im Jahr 2022 mit 18,3 % noch einmal deutlich stärker zunehmen, als dies im Frühjahr noch angenommen wurde.
Insgesamt rechnen die Institute mit einem Rückgang der Bauinvestitionen von 2,2 % in diesem sowie 2,0 % im kommenden Jahr. Im Jahr 2024 dürfte die Bauinvestitionen dann mit 2,3 % wieder expandieren.“
Der Bundesverband Baustoffe – Steine und Erden e.V. (bbs) hält die Bauerwartungen der Institute alles in allem für realistisch, wobei die Prognoseunsicherheit hoch ist.
Die Tabellen zu den Eckdaten der Prognose sowie zu den realen Veränderungen der Bauinvestitionen finden Sie rechts als PDF.
Das vollständige Gutachten finden Sie hier .