Aktuelle Positionierung der Deutschen Gesellschaft für Mauerwerks- und Wohnungsbau e.V. (DGfM) und des Bundesverbands Baustoffe, Steine und Erden e.V. (bbs) zur Situation im Wohnungsbau und in der Mauerwerksindustrie
Ausgangslage Wohnungsbau Mai 2022: Trotz einer sehr guten Auftragslage zu Beginn des Jahres 2022 haben sich die Erwartungen bezüglich der zukünftigen Entwicklung von Wohnungsneubau und Gebäudesanierung infolge der Auswirkungen der Ukraine-Krise dramatisch eingetrübt. Momentan wird versucht, laufende Projekte trotz Material- und Fachkräftemangel sowie erheblich angestiegenen und nicht mehr kalkulierbaren Baustoffpreisen mit so wenig wie möglich Verzögerungen zu Ende zu bringen. Noch kritischer ist der Blick nach vorn: Unkalkulierbare Preisentwicklungen, Lieferprobleme, unsichere Förderbedingungen, steigende Zinsen und die erneute Diskussion über anstehende Verschärfungen des Ordnungsrechtes veranlassen die Mehrheit von Investoren und Bauherrn Neubauprojekte zurückzustellen oder komplett aufzugeben. Ein ähnliches Bild zeigt sich auch bei der Gebäudesanierung. Einerseits sind unter diesen Entwicklungen die politisch gesetzten Wohnungsbauziele nicht zu erreichen. Andererseits zwingt diese Situation die Baustoffindustrie auch dazu, sich auf einen Rückgang des Wohnungsbaus einzustellen.
Aktuelle Lage in der Mauerwerksindustrie
Auch die deutsche Mauerwerksindustrie ist von Problemen infolge des Ukraine-Kriegs betroffen.
Das ist aus Marktsicht relevant, da im gesamten Wohnungsbau in Deutschland (Einfamilienhäuser, Doppel- und Reihenhäuser, Mehrfamilienhäuser und Wohnheime) gemessen an den Bau-Fertigstellungen der letzten drei Jahre nach erfassten Kubikmetern an umbauten Raum
- rund 72% aller Wohnungen überwiegend in Mauerwerk
- rund 14% aller Wohnungen überwiegend in Stahlbeton und
- rund 12% aller Wohnungen überwiegend in Holz
errichtet wurden. Aus Sicht der Mauerwerksindustrie gehen rund 70% aller hergestellten Mauersteine in den Wohnungsneubau und rund 10% in die Wohnungssanierung. Der restliche Anteil geht in den Nichtwohnungsbau. In den letzten Jahren wurden jährlich ca. 16 Millionen Kubikmeter Mauerwerk in den deutschen Baumarkt geliefert. Damit sind Mauersteine neben Stahlbeton die Massenbaustoffe, aus denen in Deutschland Wohnungs- und Nichtwohnungsbauten weit überwiegend errichtet werden.
Wegen der nahezu ausschließlichen Verwendung regionaler Rohstoffe, der Laufzeit bestehender (aber langsam auch auslaufender) Verträge mit den Vorlieferanten sowie den Energieversorgern und den im Vergleich zu anderen Massenbaustoffen geringsten Transportentfernungen ist momentan eine Lieferfähigkeit für Mauersteine noch weitestgehend gegeben. Doch die Baustoffproduzenten leiden zunehmend unter den hohen Energie- und Transportkosten, unter den gestiegenen Kosten für Bindemittel (Zement und Kalk), unter der Unsicherheit über die künftige Energieversorgung sowie den CO2-Zertifikate-Handel und unter der unsicheren Entwicklung der Baunachfrage. Teilweise gibt es bereits energiekostenbedingte Einschränkungen bei der Produktion, was zu zusätzlichen Versorgungsengpässen führt.
Gravierend wäre eine drastische Einschränkung in der Energieversorgung – produktionstechnisch bedingt - insbesondere mit Erdgas. Zur Bewältigung einer möglichen Notlage sollen im Rahmen der REPowerEU Initiative Endkundenpreise gemildert und stark exponierte Unternehmen unterstützt werden. Dazu gehören auch Teile der Mauerwerksindustrie.
Dafür stünden Instrumente wie Preisregulierungs- und Transfermechanismen zum Schutz der Verbraucher und der Wirtschaft zur Verfügung bzw. werden diskutiert. Der neue Krisenbeihilferahmen sieht neben Liquiditätshilfe in Form von staatlichen Garantien und zinsvergünstigten Darlehen auch Beihilfen zur Entschädigung für Mehrkosten aufgrund außergewöhnlich hoher Gas- und Strompreise, einschließlich als direkte Zuschüsse, vor.
Die Abhängigkeit von russischem Gas soll vorrangig über zwei Wege reduziert werden:
(1) die Diversifizierung der Gaslieferungen, d. h. mehr LNG, mehr Pipelineimporte, mehr „grüne Gase“, eine Verdoppelung der Biomethanproduktion und der Beschleunigung des Wasserstoff- Markthochlaufs
sowie
(2) eine beschleunigte Reduzierung der Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen, d. h. mehr Energieeinsparungen und Energieeffizienz, beschleunigter Ausbau der erneuerbaren Energien und dazugehöriger Infrastruktur, beschleunigte Dekarbonisierung der Industrie
u. a. mit wasserstoffbasierten Lösungen; dabei wird der Ausbau der Erneuerbaren als im öffentlichen Interesse angesehen und soll zur Verfahrensbeschleunigung beitragen.
Die Umsetzung beider Wege ist für die Mauerwerksindustrie mit zum Teil erheblichen Investitionen in die Anlagentechnik verbunden, die angesichts der angespannten Lage unter Umständen sehr kurzfristig entschieden, geplant und auch realisiert werden müssen/müssten. Die erforderlichen Investitionsentscheidungen könnten zeitlich in eine Phase einer Dämpfung der Bautätigkeit fallen, die beginnend im 2. Halbjahr 2022 zunehmend wahrscheinlicher wird.
Risiken für die Mauerwerksindustrie (eigene Einschätzung und BDI)
Ein kompletter Ausfall russischer Gasflüsse nach Europa (infolge von Sanktionen oder Embargo) kann nicht kurzfristig durch andere Quellen ersetzt werden. Selbst wenn alle potenziellen Register gezogen würden, bestünde in den kommenden Wintern eine erhebliche Versorgungslücke.
Aus Sicht der deutschen Industrie (BDI) hätte ein Gasembargo im besten Fall eine schwere Rezession zur Folge. Die fünf führenden deutschen Wirtschaftsforschungsinstitute erwarten in diesem Fall einem kumulierten Verlust von gesamtwirtschaftlicher Produktion in Höhe von 220 Mrd. Euro und damit einem Rückgang von mehr als 6,5 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung.
Bereits Ende April hat Gazprom Erdgaslieferungen nach Polen und Bulgarien eingestellt. Dies stellt eine neue Eskalation der Gaskrise dar, da nun erstmals langfristige Verträge nicht mehr erfüllt werden. Laut der Bundesnetzagentur hat der Stopp der Gaslieferungen nach Polen und Bulgarien zunächst keine Auswirkungen auf die Sicherheit der Gasversorgung in Deutschland. Dennoch steigt die Unsicherheit abermals, was sich auch auf den Märkten preislich bemerkbar macht. Auch daher ist über weitere Preissteigerungen eine Dämpfung der Bautätigkeit im Rahmen der gesamtgesellschaftlichen Entwicklung wahrscheinlich.
Handlungsoptionen für die Industrie (BDI und DGfM)
Kurzfristig
Im Fall von versiegenden Energieflüssen aus Russland muss die Bundesregierung vorbehaltlos und ohne Tabus alle denkbaren Optionen prüfen. Das betrifft unter anderem:
- Reduktion von Erdgas in der Stromerzeugung, u. a. durch eine Aktivierung von Braun- und Steinkohlekraftwerken in Reserve, Laufzeitverlängerungen für Kernkraftwerke und Verschiebung geplanter Kohlekraftwerksabschaltungen.
- Eine ausgewogene Regelung in Bezug auf das Preisanpassungsrecht der Energieversorger entlang der Lieferkette bei einer Gasmangellage gemäß Energiesicherheitsgesetz ist notwendig.
- Stärkung der Vertragstreue der Gashändler über gesetzliche Regelungen sowie ggfs. über Pönalen, Einlagen und Verbot von Leerverkäufen, um Spekulation zu begrenzen.
- Umstellung auf alternative Brennstoffe (Öl, Kohle): In der Industrie besteht heute nur noch sehr wenig Potenzial, den Brennstoff Gas durch andere Energieträger kurzfristig zu ersetzen.
- Leitpläne zu Rationierungen und Abschaltungen zusammen mit der Industrie ausarbeiten.
Mittel- und langfristig
- Ausweitung heimischer Erzeugung: Aktuell liegt der Anteil der heimischen Erzeugung bei fünf Prozent. Eine Produktionssteigerung innerhalb der nächsten Jahre sei möglich.
- Ausbau LNG-Infrastruktur: Der Bau von zwei Häfen wird voraussichtlich drei bis vier Jahre dauern, daher beschleunigter Ausbau von schwimmenden LNG-Terminals als Übergang.
- Diversifizierung des europäischen Gasnetzes zu Nachbarstaaten vorantreiben.
- Beschleunigter Ausbau der Kapazitäten von erneuerbaren Energien und eine erhöhte Einspeisung von Biomethan ins Gasnetz.
- Vereinfachte Planungs- und Genehmigungsverfahren für neue Industrieanlagen und erneuerbare Energien.
- Reduzierung staatlicher Strompreisbestandteile anreizen (verstärkte Nutzung von Wärmepumpen, E-Mobilität etc.)
- Hilfe für Unternehmen, die krisenbedingt in eine Schieflage geraten. Erste Hilfsprogramme gibt es bereits. Diese müssen bei einer weiteren Verschärfung der Situation dringend ausgeweitet werden.
Handlungsoptionen für den Wohnungsbau (VB Soziales Wohnen und DGfM)
Sollen die politisch gesetzten Ziele insbesondere zum sozialen Wohnungsbau jetzt trotz der aufgezeigten Situation erreicht werden, setzt das ein schnelles Handeln und eine erneute Erhöhung der Mittel für den sozialen Wohnungsbau und der Gewährung weiterer Förderungen für den Bau von bezahlbaren Wohnungen voraus.
- Der Bau von 100.000 Sozialwohnungen in Gebäuden gemäß dem Gebäudeenergiegesetz (GEG) erfordert öffentliche Mittel in Höhe von mindestens 5 Milliarden Euro. Die bisher geplanten Mittel in Höhe von 2 Milliarden Euro durch den Bund und 0,6 Milliarden Euro durch die Länder reichen bei weitem nicht aus. Anzustreben ist die Erhöhung der Fördermittel des Bundes auf jährlich 2,5 Milliarden Euro und eine einhundertprozentige Kofinanzierung durch die Länder.
- Soll zusätzlich ein höherer Energieeffizienzstandard für die Sozialwohnungen erreicht werden, müssen vom Klimaschutzministerium die notwendigen Mittel bereitgestellt werden.
- Bei der Ausführung von 100.000 Sozialwohnungen als Energieeffizienzhaus 40 wären das aktuell 3,5 Milliarden Euro.
- Zur Errichtung von Sozialmietwohnungen sollte von Bund, Ländern und Kommunen Bauland für maximal 300,- € pro Quadratmeter Fläche zweckgebunden zur Verfügung gestellt werden. Die BImA sollte hierbei die Kommunen gezielt unterstützen.
- Die Absenkung der Mehrwertsteuer für den Sozialmietwohnungsbau auf 7 % sollte umgehend eingeführt werden.
- Die zusätzliche Schaffung von jährlich 60.000 bezahlbaren Wohnungen ohne Wohnbezugsschein erfordert weitere Subventionen von mindesten einer Milliarde Euro (bei Auslegung nach GEG). Gewünschte höhere Energieeffizienzstandards wären auch für das bezahlbare Wohnen über das Klimaministerium finanziell abzusichern.
Verbesserung der Rahmenbedingungen für den allgemeinen Wohnungsneubau und den Wohnungsbau im Bestand
- Die im Koalitionsvertrag angekündigte Anhebung der linearen Abschreibung von zwei auf drei Prozent ist umgehend zu realisieren.
- In Regionen mit Wohnungsmangel ist die Abschreibung um ein weiteres Prozent zur Schaffung und Erhaltung bezahlbaren Mietwohnraums zu ergänzen.
- Die verstärkte Schaffung von bezahlbarem Wohnraum im Bestand muss durch eine „Umnutzungs- und Aufstockungsinitiative“ vorangebracht werden.
- Im Rahmen der „Umnutzungs- und Aufstockungsinitiative“ sind vorhandene Hemmnisse aus dem Weg zu räumen:
- auf zusätzliche Stellplätze bei Aufstockungen verzichten,
- bei Bebauungsplänen mit Trauf- oder Firsthöhenbeschränkung Ausnahmen schaffen,
- eine Überschreitung der zulässigen GFZ um einen definierten Prozentsatz tolerieren,
- Anforderungen der Abstandsflächenregelungen sind auf den Zeitpunkt der ursprünglichen Gebäudeerrichtung zu reduzieren,
- auf Anforderungen der Barrierefreiheit für die neu geplanten Wohnungen in Aufstockungen verzichten,
- eine zentrale Anlaufstelle auf kommunaler Ebene zu allen die Aufstockung betreffenden bauordnungsrechtlichen Fragestellungen für schnelle Genehmigungen schaffen.
Die im Koalitionsvertrag verankerte Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren für den Wohnungsbau ist von erheblicher Bedeutung für die Erreichung der gesetzten Ziele.
- Die Aufstockung des Personals in den Bauämtern ist kurzfristig voranzutreiben.
- Die schnelle Digitalisierung der Bauämter sowie des gesamten Bauprozesses ist umzusetzen.
- Für neue Bebauungspläne sollten umgehend Freistellungen vom Baugenehmigungsverfahren auch für größere Wohngebäude (etwa bis 12 Wohnungen) ermöglicht werden.
- Die bundesweite Nutzung von Typengenehmigungen für typisiertes und serielles Bauen ist durch die geeignete Gestaltung der Bauordnungen länderübergreifend zu ermöglichen.
Die Verbesserung der Rahmenbedingungen für den Wohnungsneubau muss für mindestens zehn Jahre festgeschrieben werden.
Da mit einer Auflösung von Lieferengpässen für Baustoffe (bisher z.B. Baustahl, Stahlbeton, Holz) nicht kurzfristig zu rechnen ist, könnte zumindest die Ausweitung der Preisgleitklauseln auf Basis des Erlasses vom 25.3.2022 den Bauunternehmen in Bezug auf öffentliche Auftraggeber etwas Sicherheit geben, indem z.B. weitere Produktgruppen einbezogen werden.